Berufsunfähigkeit – Welche Gründe führen zur Anerkennung, welche zur Ablehnung?
Berufsunfähig – und dann? Wer auf seine BU-Versicherung angewiesen ist, erwartet klare Entscheidungen. Doch wie oft leisten Versicherer wirklich? Und warum scheitern Anträge? Die aktuelle BU-Leistungspraxisstudie von Franke und Bornberg liefert Antworten. Mit belastbaren Zahlen – und überraschenden Einsichten.
Die Entscheidung eines Versicherers über die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit hat für Betroffene weitreichende Folgen - schließlich geht es um ihre finanzielle Absicherung bei Verlust der Arbeitskraft. Doch gerade in diesem sensiblen Bereich wird Versicherern häufig vorgeworfen, Leistungen bewusst zu verzögern oder unberechtigt abzulehnen. Eine detailliertere Betrachtung offenbart jedoch ein anderes Bild. Laut der 9. BU-Leistungspraxisstudie von Franke und Bornberg werden etwa 80 % der Leistungsanträge anerkannt.
Wenn der BU-Leistungsantrag im Sande verläuft
Viele glauben: BU-Versicherer drücken sich gerne vor der Leistung. Die Studie zeigt ein anderes Bild. Aber es irritiert, dass in mehr als der Hälfte der Fälle nach einer Antragstellung keine Zahlung erfolgt, weil Versicherte ihren Antrag gar nicht weiterverfolgt haben. Versicherer nennen das meist „Verletzung von Mitwirkungspflichten“. Für die Statistik zählen wir das als „Nicht-Leistung“ – wird aber fälschlicherweise oft mit „Ablehnung“ verwechselt.
Die Gründe dafür, dass Kunden nach der Erstmeldung den Fall nicht weiterverfolgen, sind vielfältig. Häufig besteht die Sorge, Fristen zu versäumen, wenn „Schäden“ – im Falle von Erkrankungen oder Beschwerden – nicht sofort gemeldet werden. Daher kommt es auch bei Bagatellerkrankungen nicht selten zu einer BU-Erstmeldung. Eine eingehende Erläuterung der Leistungsvoraussetzungen bspw. im Rahmen eines Telefonates klärt dieses Missverständnis auf und der Fall wird dann ggf. abgelegt oder zurückgestellt.
Auch nach Erhalt des Leistungsfallfragebogens kann es von Kundeseite zum Abbruch der Kommunikation kommen, obwohl mehrfache Erinnerungen der Versicherer üblich sind. Gründe liegen beispielsweise darin, dass Kunden erkennen, dass ein anzugebendes Krankentagegeld u.U. eine höhere Leistung bereitstellt als die vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente. Oder dass eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht droht. Abschrecken könnten jedoch auch die notwendigen umfangreichen Belehrungen im besten Juristendeutsch bspw. zur Schweigepflichtentbindung.
Hinweise darauf, dass Antragssteller vermehrt aufgrund ihrer gesundheitlichen Belastung zum Beispiel aufgrund starker psychischer Beschwerden die Antragstellung abbrechen, konnte die Untersuchung nicht bestätigen.
Da ohne Rückmeldung der für die Leistungsprüfung notwenigen Angaben keine Entscheidung möglich ist, unterscheidet die Studie klar zwischen „Nicht-Leistungen“ und „Ablehnungen“. Im weiteren Verlauf werden ausschließlich letztere betrachtet.
Ablehnungsgründe – wenn Versicherer nein sagen
Warum scheitert ein BU-Antrag? Meist am fehlenden Nachweis der Berufsunfähigkeit.
- In über der Hälfte der Fälle (54,2 %) wurde der Antrag abgelehnt, weil der medizinisch erforderliche Grad der Berufsunfähigkeit nicht erreicht wurde.
- An zweiter Stelle folgen Anfechtung und Rücktritt, die zusammen 26,0 % der Ablehnungen ausmachen. Hier geht es um falsche oder unvollständige Angaben im Antrag. Oft nicht in böser Absicht, aber trotzdem folgenreich.
- In 13,6 % der Fälle war der notwendige Prognosezeitraum nicht erfüllt – also der Zeitraum, für den eine Berufsunfähigkeit voraussichtlich bestehen muss.
- Ausschlussklauseln, Umorganisation sowie Verweisungen spielen eine untergeordnete Rolle.
Wer am häufigsten BU-Leistungen bekommt – nach Krankheit
Welche Erkrankungen führen am häufigsten zur Anerkennung einer Berufsunfähigkeit? Hier zeigt sich folgendes Bild:
- Psychische Krankheiten und Verhaltensstörungen sind mit einem Anteil von 29,2 % der häufigste Auslöser anerkannter Leistungsfälle.
- An zweiter Stelle folgen bösartige Neubildungen (z. B. Krebserkrankungen) mit 17,8 %.
- Gemeinsam mit Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und Bindegewebes (13,4 %) machen diese drei Gruppen knapp 60 % aller anerkannten Fälle aus.
Unterschiedliche Ursachen je nach Geschlecht
Männer und Frauen – auch in der BU-Realität zeigen sich Unterschiede. Bei Frauen sind psychische Erkrankungen mit rund 35 % die häufigste Ursache für anerkannte Leistungsfälle. Es folgen Krebserkrankungen (23 %) und Erkrankungen des Bewegungsapparates (15 %).
Bei Männern liegt der Anteil psychischer Leiden etwas niedriger (25 %), dafür spielen Muskel- und Skeletterkrankungen (22 %) sowie Unfälle eine größere Rolle. Auffällig: Verletzungen führen bei Männern mehr als doppelt so häufig zur BU-Anerkennung wie bei Frauen.
Psychische Leiden: häufig – aber überdurchschnittlich oft abgelehnt
Nicht jede Diagnose hat die gleichen Chancen auf Anerkennung. Wer wegen Krebs berufsunfähig wird, erhält in über 93 % der Fälle eine BU-Rente. Bei psychischen Erkrankungen liegt die Quote dagegen bei nur 72 %. Zwar liegt die durchschnittliche BU-Anerkennungsquote laut Studie bei rund 80 %, doch gibt es in den einzelnen Krankheitsbildern deutliche Abweichungen hiervon:
- So liegt die Anerkennungsquote bei psychischen Erkrankungen lediglich bei 71,7 %.
- Die relativ hohe Ablehnungsquote von 28,3 % zeigt, wie komplex diese Fälle für Versicherer in der Prüfung sind – etwa aufgrund schwer messbarer Symptome oder uneinheitlicher Befundlagen.
- Auch Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (76,5 %) sowie Verletzungen und Unfälle (77,3 %) bleiben leicht unter dem Wert von 80 %.
- Bessere Chancen auf Anerkennung bestehen bei Krankheiten des Nerven- (82,1 %) und des Kreislaufsystems (84,7 %), deren Quoten leicht über dem Mittelwert liegen.
- Am deutlichsten ist das Bild bei Krebserkrankungen: Hier liegt die Anerkennungsquote mit 93,5 % besonders hoch, weil die Diagnosen medizinisch eindeutig und die Auswirkungen meist deutlich erkennbar sind.
BU-Leistungsrealität: Ein differenzierter Blick hinter die Zahlen
Die Realität ist differenzierter, als viele denken. Zwar hält sich hartnäckig das Vorurteil, BU-Versicherer lehnten systematisch ab. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache:
Die hohe Anerkennungsquote von rund 80 % zeigt, dass Versicherer in der Mehrzahl der Fälle leisten – vorausgesetzt, der Antrag wird vollständig eingereicht und der Anspruch ist medizinisch begründet. Fälschlich als „Ablehnungen“ gewertete Fälle beruhen häufig auf mangelnder Mitwirkung der Versicherten.
Gleichzeitig zeigt die Studie: Nicht alle Erkrankungen haben die gleichen Quoten – und psychische Leiden tun sich in der Anerkennung schwerer.
Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen unterstreichen zudem, wie individuell jeder Leistungsfall ist. Insgesamt liefert die Studie ein differenziertes Bild und kann helfen, bestehende Vorurteile zu relativieren – ohne berechtigte Kritik an Einzelfällen auszublenden.
Zur 9. BU-Leistungspraxisstudie von Franke und Bornberg
Bereits zum 9. Mal analysiert Franke und Bornberg die Leistungspraxis der BU-Versicherer. 16 Versicherer haben an der aktuellen Studie teilgenommen: Dies sind Allianz, Alte Leipziger, AXA, Continentale, Deutsche Ärzteversicherung, Dialog, DBV, ERGO, Generali, Gothaer, HDI, Münchener Verein, Nürnberger, Signal IDUNA, Stuttgarter, Zurich.
Gegenstand der Studie sind BU-Leistungsanträge, die 2023 entschieden wurden. Neben der Datenanalyse setzt Franke und Bornberg auf Stichproben vor Ort. Die Analysten ziehen mindestens 125 Schadenakten je Gesellschaft heran (bei ausreichender Größe des Leistungsbestands), um sicher zu sein, dass überall die gleichen Messgrößen verwendet werden.
Daten zu den untersuchten Versicherern:
- Gesamtbestand von 9,34 Millionen BU-Versicherten, davon 2,30 Millionen BUZ zur Beitragsbefreiung einer Hauptversicherung
- BU-Leistungsbestand 199.615 Fällen (Ende 2023)
- 48.274 BU-Leistungsfall-Neuanmeldungen im Jahr 2023
- Stichprobenumfang: Über 1.650 Leistungsfälle (AXA, DBV und Deutsche Ärzte mit gemeinsamer Leistungsprüfung); selektiert wurden bis zu 60 % Ablehnungen und bis zu 40% Anerkenntnisse.
Die Betrachtung der Anerkennung und Ablehnung ist nur eines der vielen Themen, die die Studie beleuchtet hat. Im Fokus stehen daneben unter anderem die Bereiche „Verweisung und Umorganisation“, „Rücktritt und Anfechtung“ sowie „Regulierungsdauern“.
Hier geht es zum ersten Blogbeitrag „Berufsunfähigkeit: Gutachten und Gerichtsprozesse als strategische Mittel zur Ablehnung?“
Christian Monke
