Solvenzquoten der Lebensversicherer im Wandel - Warum Vergleichen heute ein noch genaueres Hinsehen erfordert
Beim Blick auf die Solvenzquoten von Lebensversicherern zählt mehr als nur die Zahl: Ob Übergangsmaßnahmen genutzt werden, macht den Unterschied. 2024 fielen Quoten mit Übergangshilfen aufgrund von geforderten Neuberechnungen teils niedriger aus – die Basisquoten blieben dagegen im Vergleich zum Vorjahr stabil.
Solvenzquote ist nicht gleich Solvenzquote
Wer für die Altersvorsorge spart oder als Versicherungsmakler einen Anbieter auswählt, sollte einen genauen Blick auf die finanzielle Stabilität des Versicherers werfen. Denn Lebensversicherungen sind langfristige Verträge – in der Regel über Jahrzehnte. Die Solvenzquote1 gibt dabei einen wichtigen Hinweis: Sie zeigt, ob ein Versicherer genügend Eigenmittel hat, um seine Verpflichtungen gegenüber Kunden auch in Krisenzeiten zu erfüllen. Eine solide Solvenzquote ist zwar nicht der einzige Maßstab zur Bewertung eines Lebensversicherers, steht aber in besonderem Maße für Sicherheit und Verlässlichkeit – zwei zentrale Faktoren, die für Sparer und Versicherungsmakler von entscheidender Bedeutung sind
Doch Vorsicht: Man muss genau hinsehen. Denn nicht jede Solvenzquote ist auf den ersten Blick vergleichbar: Übergangsmaßnahmen2 und Volatilitätsanpassung3, die im Rahmen des seit 2016 geltenden verbindlichen Solvency-II-Regimes erlaubt sind, können den Vergleich verzerren. In diesem Blogartikel zeigen wir, wie sich die Solvenzquoten der Lebensversicherer im Jahr 2024 entwickelt haben – und welche Neuerung dazu führte, dass einige Quoten im Vergleich zum Vorjahr niedriger ausfielen.
Übergangshilfe: Neuberechnung angeordnet
Vorweg: Die Anforderungen und Berechnungsmethoden von Solvency II sind komplex. Nicht selten ist Kritik an der mangelnden Transparenz und der schwer verständlichen Ausgestaltung. Hinzu kommt, dass Versicherer entweder das sogenannte Standardmodell von Solvency II verwenden oder – sofern offiziell genehmigt – eigene, interne Modelle zur Berechnung heranziehen können.
Im Sommer 2024 hat die deutsche Finanzaufsicht BaFin angeordnet, dass Versicherer das sogenannte Rückstellungstransitional neu berechnen müssen. Diese Übergangsmaßnahme sollte ursprünglich helfen, den Wechsel zu Solvency II bei niedrigen Zinsen abzufedern. Seit dem Zinsanstieg 2022 sind die versicherungstechnischen Rückstellungen unter Solvency II jedoch stark gesunken, was zu höheren Eigenmitteln und besseren Bedeckungsquoten führte. Ende 2023 lagen die Rückstellungen meist unter dem Niveau von Solvency I.
„Für Versicherer, die das Rückstellungstransitional nutzen, führt die Neuberechnung zu niedrigeren Bedeckungsquoten. Grundsätzlich dürfen Unternehmen den Abzugsbetrag alle 24 Monate neu berechnen, beispielsweise um die zwischenzeitliche Entwicklung des Versicherungsbestands oder signifikanten Änderung im Risikoprofils genauer zu berücksichtigen“, erklärt Reinhard Klages, Chefredakteur des map-reports aus dem Hause Franke und Bornberg. Er zeichnet auch für den aktuellen map-report 939: „Solvabilität im Vergleich 2015 – 2024“ verantwortlich und hat hierzu die Solvabilitätsberichte der Versicherer analysiert.
In Kürze: Bei Versicherern, die 2024 Übergangsmaßnahmen nutzten, gab es deutliche Veränderungen. Im Gegensatz dazu blieben die Basisquoten – also die Kennzahlen ohne Übergangsmaßnahmen – im Vergleich zum Vorjahr weitgehend stabil.
Wer hat wie gerechnet
Für einen aussagekräftigen Vergleich müssen daher all diese Punkte berücksichtigt werden. Für das Jahr 2024 bedeutet das:
- 67 Lebensversicherer haben die Standardformel und zehn Unternehmen ein internes Modell verwendet.
- Von den 76 untersuchten Lebensversicherern wendeten 44 die Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen gemäß § 352 VAG und die Volatilitätsanpassung nach § 82 VAG an.
- Zwei Lebensversicherer nutzten ausschließlich die Übergangsmaßnahme für versicherungstechnische Rückstellungen, während sich weitere 22 Unternehmen als einzige Maßnahme der Volatilitätsanpassung bedienten
- Die Übergangsmaßnahme für risikofreie Zinssätze gemäß § 351 VAG wurde lediglich von der Credit Life in Kombination mit der Volatilitätsanpassung angewendet.
- Die BL die Bayerische und Inter sind bei den angewendeten Maßnahmen von der Verfahrensweise des Vorjahres abgewichen und verzichteten auf das Rückstellungstransitional. Die sieben Lebensversicherer Delta Direkt, DLVAG, Dortmunder, Ergo Vorsorge, Europa, Hannoversche sowie InterRisk verzichten auf Übergangsmaßnahmen.
Riesige Spannbreite bei den Solvenzquoten
Damit keine Äpfel mit Birnen verglichen werden, zeigt der map-report die Solvenzquoten jeweils getrennt nach den einzelnen Gruppen. Grundsätzlich gilt: Die Solvenzquote muss mindestens 100% betragen, um die aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Liegt sie über diesem Wert, verfügt ein Versicherer über ausreichend Eigenmittel, um auch in Extremsituationen alle Verpflichtungen gemäß Solvency II erfüllen zu können.
Die durchschnittliche Solvenzquote der Versicherer, die Übergangsmaßnahmen nutzen, liegt bei 340,3%. Zum Vergleich: Ende 2023 betrug sie noch 663,6%. Der deutliche Rückgang ist – wie bereits erläutert – auf die vorgeschriebenen Neuberechnungen zurückzuführen.
Die höchste SCR-Bedeckung im Jahr 2024 – ohne Volatilitätsanpassung und Übergangsmaßnahmen – erreicht die LVM mit 730,1%, gefolgt von der LV 1871 mit 715,7%. Die niedrigsten Werte weisen hingegen die Concordia Oeco (27,6%), LPV (35,5%) und die Öffentliche Oldenburg (59,6%) auf.
Das zeigt zum einen, wie stark die Solvenzquoten am Markt auseinandergehen, und zum anderen, dass drei Lebensversicherer die erforderliche Bedeckungsquote von 100 % ohne Hilfs- oder Übergangsmaßnahmen nicht erfüllen. Zum Vergleich: Bei der ersten Solvency II-Berichterstattung zum Jahresende 2016 hatten noch 21 Gesellschaften Schwierigkeiten, die vollständige SCR-Bedeckung zu erreichen. Genau für solche Fälle wurden die Übergangsregelungen eingeführt – mit dem Ziel, den Wechsel vom alten aufsichtsrechtlichen Rahmen in das neue Regime abzufedern.
4 Grafiken aus dem map-report zur Solvenzquote der Lebensversicherer
Fazit
Solvenzquoten geben wichtige Hinweise auf die finanzielle Stabilität von Lebensversicherern – sind aber nur im richtigen Kontext aussagekräftig. Übergangsmaßnahmen und Volatilitätsanpassungen können die Werte verzerren und erschweren den Vergleich. Die Neuberechnung 2024 führte bei vielen Anbietern zu niedrigeren Quoten, während die Basiswerte stabil blieben. Wer vergleichen will, sollte genau hinsehen. Dabei bietet der map-report mit seinen regelmäßigen Aktualisierungen immer die neuesten Daten zu diesem Thema. Spannend bleibt, wie sich die Solvenzquoten in den kommenden Jahren weiterentwickeln.
Zum Hintergrund
Dieser Beitrag gibt Ihnen einen Überblick über die Solvabilität der Lebensversicherer im Jahr 2024. Für weiterführende Informationen empfehlen wir den map-report 939: „Solvabilität im Vergleich 2015 – 2024“. Dieser gibt auch Auskunft über die Solvabilität der Privaten Krankenversicherer. Dazu mehr in diesem Blogbeitrag.
Der map-report kann im pdf-Format kostenpflichtig bestellt werden. Weitere Informationen finden sich hier: map-report | Franke und Bornberg
Erläuterungen
- Solvabilitätsquote, Solvenzquote und SCR-Bedeckung werden als Synonym verwendet. SCR Solvency Capital Requirement (Solvenzkapitalanforderung) gibt also an, wie viel Kapital ein Versicherer vorhalten muss, um mit 99,5 % Wahrscheinlichkeit über ein Jahr hinweg nicht zahlungsunfähig zu werden, sollte es zu einem unerwarteten und extremen Stressereignis kommen.
- Übergangsmaßnahmen unter Solvency II sind zeitlich befristete Regelungen, die den Übergang vom alten aufsichtsrechtlichen System erleichtern sollen. Es gibt zwei Hauptmaßnahmen:
a. Übergangsmaßnahme für technische Rückstellungen –
erlaubt eine schrittweise Anpassung der Rückstellungsbewertung über bis zu 16 Jahre.
b. Übergangsmaßnahme für risikofreie Zinssätze – mildert den Effekt der neuen Abzinsungssätze. - Die Volatilitätsanpassung (Volatility Adjustment, VA) ist eine Maßnahme unter Solvency II, die bei der Bewertung von versicherungstechnischen Rückstellungen hilft, künstliche Schwankungen an den Finanzmärkten auszugleichen. Sie erhöht den Abzinsungssatz, wodurch die Rückstellungen sinken und kurzfristige Marktverwerfungen weniger stark auf die Solvenzquote wirken.