Arbeitskraftabsicherung 2025 – Viel Potential bleibt ungenutzt
Jedes Jahr gibt es Erfolgsmeldungen zur Arbeitskraftabsicherung, doch viel Potential für Kundengewinnung und Neugeschäft bleibt bisher ungenutzt. Wir zeigen, woran es hängt und welche Chancen es gibt.
Die Pressemitteilungen zur Arbeitskraftabsicherung lesen sich gut: starkes Neugeschäft, viele Kampagnen, aktualisierte Tarife. Doch beim genaueren Hinsehen schrumpft der Erfolg. Ein erheblicher Teil des Neugeschäfts ersetzt lediglich bestehende Verträge. Gleichzeitig wachsen die Einkommen schneller als die privaten Renten. Ergebnis: Das Geschäftsfeld Arbeitskraftabsicherung (AKS) ist 2024 erneut deutlich unter seinen Möglichkeiten und dem tatsächlichen Kundenbedarf geblieben. Die reale Absicherungsleistung nimmt sogar ab. In dieser AKS-Serie gehen wir den Ursachen nach und zeigen Lösungen. In diesem ersten Teil räumen wir auf – mit Zahlen statt Bauchgefühl.
Großes Kundenpotential, aber kleiner Marktzuwachs
Auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes haben wir den adressierbaren Personenkreis für die Arbeitskraftabsicherung für 2024 grob eingegrenzt. Die Zahl beindruckt: 23,8 Mio. Menschen (Erwerbstätige bis 34: 12,5 Mio. | Schüler Sekundarstufe I/II: 7,5 Mio. | Studenten: 2,8 Mio. | Selbständige bis 45: 1,0 Mio.).
Die tatsächliche Zielgruppe für die Absicherung der Arbeitskraft liegt darunter, da manche bereits versichert sind und objektive Gründe (z. B. Gesundheitszustand) eine Absicherung verhindern können. Überschneidungen zwischen den Segmenten sind möglich (z. B. berufstätige Studenten). Die Summe dient daher als Orientierung –für die Betrachtung dennoch hilfreich.
Demgegenüber steht die Marktaktivität mit rund 449.000 neu abgeschlossenen selbständigen Invaliditätsversicherungen (SIV) in 2024 (GDV). Eine Unterscheidung nach Produktarten (BU, EU, Grundfähigkeit) erfolgt dort seit einigen Jahren leider nicht mehr. Hart gerechnet entspricht das lediglich 1,9 % des adressierbaren Personenkreises. Selbst bei einem konservativen Abschlag von 20 % auf die Zielgruppe läge die Erfolgsquote nur bei 2,4%. Entscheidend ist jedoch nicht die Zahl der neuen Verträge, sondern die Zahl der neu gewonnenen Kunden. Hierüber gibt der Netto‑Bestandsaufbau Aufschluss: Der SIV-Bestand wuchs 2024 gegenüber 2023 lediglich um 188.000 Verträge – das sind 0,8 % bzw. nach Abschlag 1,0 % Erfolgsquote. Anders formuliert: Nur 42 % des Neugeschäfts führen zu mehr Bestandsverträgen.
Woran liegt das?
Ein Teil des Neugeschäfts wird durch Vertragsabläufe, Kündigungen oder Todesfälle neutralisiert. Der Hauptfaktor bei BU und Co. ist jedoch die Umdeckung bestehender Verträge. Leistungs- und Preiswettbewerb schaffen regelmäßig Opportunitäten für neue Verträge bei bestehenden Kunden. Der Wechsel birgt Risiken (z. B. veränderter Gesundheitszustand); Fristen zur Anzeigepflichtverletzung laufen jeweils neu an. Für Versicherer und Kollektiv sind Umdeckungen problematisch, da Verträge erst nach einer gewissen Laufzeit ins Verdienen kommen und tendenziell die gesünderen Kunden den Bestand verlassen. Ein Absicherungsfortschritt bei Erwerbstätigen entsteht dadurch kaum.
Mehr Erwerbstätige – aber weniger Verträge in der Arbeitskraftabsicherung
Bisher ging es um potenzielle Kunden vs. Markterfolg bezogen auf SIV. Interessant ist außerdem der Gesamterfolg der Absicherung aller Erwerbstätigen. Der Vollständigkeit halber beziehen wir die Invaliditätszusatzversicherung (IZV) ein; auch über beispielsweise Rentenversicherungen der 1. Schicht kann eine sinnvolle IZV-Rentenhöhe entstehen. Da die GDV-Zahlen bei der IZV nicht zwischen echter Rente und reiner Beitragsbefreiung unterscheiden, rechnen wir – konservativ – einen Abschlag von 25 % (Beitragsbefreiung ist sinnvoll, aber keine echte Einkommensabsicherung).
Laut Statistischem Bundesamt stieg die Zahl der Erwerbstätigen mit Wohnort in Deutschland in den letzten zehn Jahren von 43,3 Mio. auf 45,8 Mio. (zeitpunktabhängige Saisoneffekte möglich). Die Zahl der Bestandsverträge SIV + IZV (ohne reine Beitragsbefreiung) verringerte sich im selben Zeitraum von 12,7 Mio. auf 12,4 Mio. Die entsprechende Absicherungsquote sank damit von 29 % auf 27 %.
Negativer Kaufkraftausgleich: Renten aus der Arbeitskraftabsicherung steigen – Einkommen steigen schneller
Für 2015 – 2024 zeigt sich erfreulicherweise: Die durchschnittliche Neugeschäftsrente ist spürbar gestiegen – zuletzt 1.552 € monatlich (vor zehn Jahren: 1.164 €; +33 %). Weniger erfreulich: Die durchschnittliche Bestandsrente stieg nur von 1.024 € auf 1.160 € (+13 %). Fairerweise ist zu erwähnen, dass Erhöhungen nicht bei allen Versicherern im Ursprungsvertrag erfolgen, was die Betrachtung relativiert.
Die Euphorie über höhere Neugeschäftsrenten relativiert sich beim Blick auf die Einkommensentwicklung. Laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung stieg das durchschnittliche Nettoentgelt von Arbeitnehmern im Betrachtungszeitraum von 1.932 € auf 2.697 € monatlich (+40 %).
Damit sank das Verhältnis Neugeschäftsrente/Nettoentgelt von 60 % (vor zehn Jahren) auf 57 % (2024). Schon 60 % sind für eine echte Versorgung knapp; als angemessen gelten ~75 % des Nettoeinkommens. Die relative Versorgung hat sich also trotz nominaler Anstiege verschlechtert.
Jährlichen Steigerungsraten (2015–2024):
- Nettoentgelt der Arbeitnehmer: +3,39 % p. a.
- SIV‑Renten im Neugeschäft: +2,92 % p. a.
- SIV‑Renten im Bestand: +1,31 % p. a.
Zwischenfazit: Arbeitskraftabsicherung mit Verlusten und wenig Kundengewinnung
- Die Zielgruppe ist groß, der Markterfolg dagegen überschaubar; die Absicherungsquote ist rückläufig.
- Im Neugeschäft dominiert Umdeckung. Das breite Potenzial wird wenig adressiert; die Rentenhöhen hinken der Einkommensdynamik hinterher – die relative Versorgung sinkt.
- Bestand als Sorgenkind: ältere Verträge sind zu klein dimensioniert und wurden nicht systematisch angepasst – das drückt die durchschnittliche Absicherungsquote.
- Inflationsspitzen der letzten Jahre verstärken den Effekt: Von nominalen Steigerungen bleibt real zu wenig übrig.
Das wirkt ernüchternd. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Einkommensdynamik der letzten Jahre die Erwartungen übertroffen hat. Zudem vermittelt die Politik seit Jahren ein Sicherheitsgefühl, das zwar unbegründet ist, aber die Vorsorgebereitschaft dämpft. Positiv: Das Potenzial ist gewaltig. Wie es zu heben ist, zeigen wir im Verlauf dieser Blog-Serie.
Zahlen auf einen Blick
- Zielgruppe 2024 (Obergrenze): 23,8 Mio. / 19 Mio. adressierbare Personen (nach Abschlag)
- Neugeschäft 2024: 449.000 Verträge (1,9 % / 2,4 % der Zielgruppe)
- Netto-Bestandszuwachs 2024: 188.000 (0,8 % / 1,0 % der Zielgruppe)
- Netto-Wirkungsgrad: 42 % des Neugeschäfts führen zu echtem Marktausbau
- Absicherungsquoten (Einkommen) 2024: Neugeschäft 57 % • Bestand 43 %
- Absicherungsquote (Erwerbstätige) 2024: 27 %
- Wachstum 2015→2024 (p. a., nominal): Nettoentgelt +3,39 % • SIV-Neu +2,92 % • SIV-Bestand +1,31 %
Ausblick
Das Sicherheitsnetz: Wir zeigen, wie Bürgergeld/Grundsicherung und gesetzliche Erwerbsminderungsrente in der Praxis wirken, welche Anrechnungsfallen es gibt – und wie BU, EU und GF sinnvoll eingesetzt werden. Zwei Musterfälle (Single/Familie) machen die Netto-Wirkung greifbar und zeigen sinnvolle Versorgungshöhen. Außerdem widmen wir uns den Herausforderungen jüngerer Generationen, die durch Demografie und politische Entscheidungen vor neuen Hürden stehen.
Methodik & Hinweise
Eigene Auswertung auf Basis eigener Daten sowie Datensätzen des Statistischen Bundesamtes und des GDV.