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Warum die private Berufsunfähigkeitsrente nicht gescheitert ist – Plädoyer für eine faktenbasierte Diskussion

Franke und Bornberg Pressemitteilung

In den letzten Wochen ist eine lebhafte Diskussion entbrannt: Hat die private Berufsunfähigkeitsrente versagt? Zu wenige seien versichert und zudem würden private Versicherer Leistungen systematisch verweigern. Sollte die gesetzliche Rentenversicherung deshalb wieder Renten bei Berufsunfähigkeit zahlen? Es ist an der Zeit, die Diskussion auf Basis von Fakten weiterzuführen. 

Anders als die gesetzliche Erwerbsminderungsrente ist eine private Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) individuell und damit einzigartig. Sie kommt nicht von der Stange, sondern sitzt wie ein Maßanzug. Unabhängig vom Verlauf des Arbeitslebens versichert sie immer die zuletzt vor Eintritt des Leistungsfalls ausgeübte Tätigkeit. Und das nicht für ein allgemeines Berufsbild wie zum Beispiel kaufmännische Angestellte, sondern genau für die Tätigkeitsausprägung, wie sie der oder die Versicherte tatsächlich ausgeübt hat. Das kann ein reiner Schreibtischjob, aber auch mit ausgeprägter Reisetätigkeit verbunden gewesen sein. Dann bekommt die Einschränkung, nicht mehr Auto fahren zu können, ein ganz anderes Gewicht. Das Beispiel zeigt: Eine Leistungsprüfung zur privaten BU-Versicherung muss ebenso individuell sein wie die versicherten Menschen und ihre Berufsbilder. Es gibt kein „Schema F“. Und auch medizinische Beurteilungen im Krankheitsfall können nicht pauschal, sondern nur mit Bezug auf die genaue Tätigkeit mit all ihren Facetten erfolgen. Das aber überfordert die meisten Ärzte regelmäßig.

Problem Psyche

Als größte Komplexitätstreiber erweisen sich psychische Erkrankungen, die sich zur BU-Ursache Nummer 1 entwickelt haben. Nur Spezialisten können feststellen, welche Auswirkungen psychische Beeinträchtigungen beim jeweiligen Tätigkeitsbild haben. Und diese Spezialisten sind Mangelware. Die knappen Ressourcen werden zudem in erster Linie von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung abgerufen. Regulierungsdauern von mehreren Monaten sind oft zwangsläufige Folge. Wer dies als Verschleppungspraktiken bezeichnet, hat sich entweder mit der Thematik nicht auseinandergesetzt oder reklamiert – bewusst oder unbewusst – einfachere Lösungen. Absicherungen mit standardisierter und somit schnellerer Leistungsprüfung gibt es bereits, beispielsweise Grundfähigkeits- und Dread Disease-Versicherungen. Diese Tarife haben aber einen entscheidenden Nachteil: Sie erreichen die Anerkennungsquoten der BU nicht. Die Regulierung wird damit zwar deutlich verkürzt, endet dafür aber sehr viel öfter mit einer Ablehnung.

Zu viele Ablehnungen?

Kritiker monieren regelmäßig die vermeintlich zu hohe Ablehnungsquote der privaten BU. Aber was bedeutet eigentlich hoch? Bei Stichproben im Rahmen unserer BU-Leistungspraxis-Studie wurde nur jeder vierte Antrag abgelehnt. Zum Vergleich: In der gesetzlichen Rentenversicherung bekommt jeder zweite Antragsteller keine staatliche Erwerbsminderungsrente. Wer trotzdem denkt, dass die Versicherer im großen Stile ungerechtfertigt Ablehnungen aussprechen, sollte einen Blick auf den Ausgang von Gerichtsverfahren werfen. Nach unserer Stichprobe verlieren Versicherer noch nicht einmal einen von zehn Prozessen. Systematische Leistungsverweigerung sieht anders aus. Auch wenn die absolute Anzahl der Prozesse sehr gering ist, stimmt dennoch nachdenklich, dass 60 Prozent der Gerichtsprozesse mit einem Vergleich enden. Ein Vergleich kann auch zu Gunsten des Versicherten ausgehen; ein vertragliches Anerkenntnis sollte aber den Regelfall und nicht die Ausnahme bilden. Die hohe Vergleichsquote dürfte auch auf chronische Überlastung der Gerichte zurückzuführen sein.

Was dennoch bleibt, sind einige nicht nur ärgerliche, sondern unakzeptable Fälle. Hier halten sich Versicherer nicht an die Spielregeln ihrer eigenen Produkte. Diesen Verwerfungen muss man nachgehen und sie auch öffentlich machen. Wer diese Vorgänge aber instrumentalisiert, um eines der wichtigsten und besten Versicherungsprodukte für Verbraucher in Misskredit zu bringen, handelt verantwortungslos. Denn gerade vorsätzliche oder fahrlässige Pauschalurteile halten immer mehr Erwerbstätige davon ab, den existenzsichernden BU-Schutz zu beantragen. Werden die auf öffentliche Erregung bedachten Kritiker diesen Menschen unter die Arme greifen, falls sie nicht mehr arbeiten können? Ich habe da meine Zweifel.

Rückkehr zum gesetzlichen BU-Schutz?

Seltene Einstimmigkeit bei Verbraucherschutz und Versicherern: Eine BU ist wichtig und jeder sollte sie haben. Aktuell sind aber nur rund 25 Prozent der Erwerbstätigen bei Verlust der Arbeitskraft privat versichert. Zur Lösung des Problems werden Stimmen lauter, die ein Comeback des gesetzlichen BU-Schutzes fordern. Doch diese Forderung geht an den Fakten vorbei.

Die private BU federt wirtschaftliche Risiken ab, wenn der Beruf krankheitsbedingt nicht mehr im vereinbarten Umfang ausgeübt werden kann. Bei Verzicht auf abstrakte Verweisbarkeit, mittlerweile Branchenstandard, wird sogar das spezifische Tätigkeitsprofil abgedeckt. Ohne Zweifel bietet eine BU den Königsweg zur Absicherung der Arbeitskraft. Es kann aber nicht Aufgabe staatlicher Sicherungssysteme sein, den Wunsch nach Absicherung individueller Tätigkeitsprofile zu erfüllen. Für eine Solidargemeinschaft kommt es vielmehr darauf an, die Fähigkeit abzusichern, mit eigener Arbeit Geld zu verdienen.

Kosten zu hoch

Das Rentenreformgesetz von 1999 hat Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten durch die zweistufige Erwerbsminderungsrente abgelöst. Diesen Schritt haben nicht zuletzt die hohen Kosten für den gesetzlichen BU-Schutz erzwungen. Sie waren in den 90-er Jahren rasant gestiegen. Mit der Reform sollte die Finanzierbarkeit des Rentensystems – unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung – für die Zukunft gesichert werden. Eine Rückkehr der gesetzlichen Rentenversicherung zum alten Leistungsbild ist deshalb weder wahrscheinlich noch bezahlbar, zumal der Kostendruck durch den Anstieg psychischer Erkrankungen weiter zunimmt.

Der gesetzliche Schutz ist besser ist als sein Ruf. Mit über 170.000 neuen Erwerbsminderungsrenten per anno und medizinischen sowie beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen in siebenstelliger Größenordnung bietet die DRV eine beachtliche Grundversorgung. Das ändert aber nichts daran, dass die Renten keineswegs ausreichen (und schon vor 2000 zu niedrig waren), um vor dem sozialen Abstieg zu schützen. Ganze 370 Euro monatlich erhalten Neurentner bei teilweiser Erwerbsminderung, und bei voller Erwerbsminderung sind es gerade einmal 662 Euro.

BU hat Tradition

Ärgerlich an dieser Debatte ist noch etwas anderes. Kritiker erwecken den Eindruck, als hätte der Staat bei seinem Rückzug aus der Berufsunfähigkeitsrente diese der privaten Versicherungswirtschaft zu treuen Händen übergeben. Und nun würde die Branche das Vertrauen verspielen und sei an der Aufgabe gescheitert. Die Darstellung lässt die lange Tradition der privaten BU-Versicherung in Deutschland unter den Tisch fallen. Einige Versicherer bieten BU-Schutz bereits seit den 50er Jahren an. In ihrer heutigen Form ist die BU seit den Achtzigern am Markt. Für Bevölkerungsgruppen wie Selbstständige und Freiberufler war und ist sie seit Jahrzehnten die einzige Möglichkeit, den Verlust der Arbeitskraft finanziell abzufedern.

Während die staatliche Rentenversicherung als Solidargemeinschaft konzipiert ist, kalkuliert die Assekuranz mit Bedarfsprämien. Sie übt keine verteilende Gerechtigkeit mit sozialem Ausgleich, sondern schafft Austauschgerechtigkeit zwischen Versicherten und Versicherer. Das setzt eine sorgfältige Antragsprüfung und Tarifierung ebenso voraus wie Fairness im Leistungsfall – nicht nur gegenüber dem einzelnen Versicherten, sondern auch gegenüber der Versichertengemeinschaft. Kehrseite der Medaille ist jedoch die zunehmende Differenzierung der Berufsgruppen und damit verbunden eine starke Spreizung des Beitrags. Gerade jene Menschen, die ihn am dringendsten brauchen, können sich bedarfsgerechten BU-Schutz nicht leisten. Auch Krankheitsbilder wie Allergien oder eine depressive Episode bedeuten nicht selten das Aus für bezahlbaren Versicherungsschutz.

Ein gesetzlicher BU-Schutz brächte einen spürbaren Anstieg der Sozialabgaben mit sich, und zwar für alle. Der würde auch Beitragszahler belasten, die hinsichtlich ihrer Tätigkeit flexibel sind und nicht auf Absicherung ihres Berufsbildes bestehen. Eine Rückkehr zu einem kaum finanzierbaren System kann keine Lösung sein und wäre auch nicht sozial gerecht.

Was ist zu tun?

Kritiker – und dazu zählen wir uns auch – müssen sich an der Realisierbarkeit ihrer Vorschläge messen lassen und stehen damit vor der Gretchenfrage: Wollen sie an funktionierenden und sozial gerechten Lösungen mitarbeiten oder sich lieber auf Kosten der Versicherungsbranche medienwirksam profilieren? Das Ziel ist klar: Mehr Menschen als bisher sollten die Chance bekommen, ihre Arbeitskraft zusätzlich privat abzusichern.

Trotz klarer Fürsprache durch den Verbraucherschutz machen sich aber zu wenige selbst auf die Suche nach privater Absicherung. Ein gesetzlicher Zwang wäre in einer Demokratie sicher nicht der passende Weg. Also brauchen wir zum einen Anreize für private BU-Vorsorge. Zum anderen brauchen wir Berater und Vermittler, die Überzeugungsarbeit leisten. Eine pauschale Verunglimpfung dieses Berufsstandes de ist also wenig zielführend, leistet er doch einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Sozialsysteme.

Die private BU bleibt der Königsweg zur Sicherung der Arbeitskraft. Damit dieser Weg nicht nur Akademikern und anderen vermeintlich guten Risiken offensteht, muss der Trend zu immer mehr Berufsgruppen nicht nur gestoppt, sondern umgekehrt werden. Statt vieler Berufsgruppen gäbe es dann nur noch eine einzige, die vom Hausmann bis zur Chefärztin jedem arbeitenden Menschen offensteht. Einzelne Versicherer wären mit diesem Vorhaben wegen der negativen Risikoauslese zum Scheitern verurteilt. Eine Brancheninitiative verbietet das Kartellrecht. Wo der Wettbewerb aus dem Ruder gelaufen ist, kann aber der Gesetzgeber lenkend tätig werden und diese Lösung auf den Weg bringen.

Neben der BU haben alternative Produkte zur Arbeitskraftsicherung ihre Daseinsberechtigung, beispielsweise die private EU-Rente. Sie bieten einer noch breiteren Schicht von Erwerbstätigen Zugang zu bezahlbarem Versicherungsschutz. Wir müssen umdenken. Die Aufstockung der gesetzlichen Erwerbsminderungsrente durch eine private Erwerbsunfähigkeitsversicherung wäre eine praktikable Lösung mit Reichweitenpotential. Sie könnte unter bestimmten Rahmenbedingungen mit einer vereinfachten Gesundheitsprüfung einhergehen und beispielsweise die vorhandenen gesetzlichen Rentenanwartschaften verdoppeln. Für die, die es sich leisten können und wollen, wäre die „Luxus“-Variante BU eine passende Alternative.

Die eigentliche Aufgabe der Versicherungsbranche und der Sozialsysteme besteht aber darin, Erwerbstätigen, die gesundheitsbedingt ihren Beruf nicht mehr ausüben können, eine neue Perspektive zu geben. Also die Rückeroberung der Gesundheit zu managen und – in Zusammenarbeit mit den Betrieben – konkret Arbeitsplätze zu organisieren, statt abstrakt auf andere Berufe oder den Arbeitsmarkt zu verweisen. Eine Geldleistung in Form einer Rentenzahlung allein wird dieser Aufgabe bestenfalls vorübergehend gerecht. „Reha vor Rente“, nennt das übrigens die Deutsche Rentenversicherung.